Waren
es sechs oder sieben
Löcher? Wie viele Löcher hat eine Flöte,
fragte Sofia
sich und schnitzte schließlich doch ein siebentes Loch in die
Mohrrübe. Sie schaute die Mohrrüben-Flöte
an, der
Luftschlitz im Mundstück müsste
vergrößert werden.
So bohrte sie sehr behutsam mit dem kleinen Küchenmesser nach.
– Fertig! Sie schloss die Augen, setzte die Flöte an
den
Mund und spielte hingebungsvoll 'Ihr Kinderlein, kommet ...' Es war
wichtig, dass die Augen dabei geschlossen blieben; mit geschlossenen
Augen konnte sie die Flötentöne hören.
Vorsichtig
knabberte sie schließlich an der Mohrrübe, ohne den
inneren
Kern zu verletzen, erst die äußere
süßere Schicht
ab, bevor sie den Kern verzehrte. Der Kern erinnerte sie an einen
Baumstamm mit winzig kleinen Ästen.
"Du bist ja immer noch nicht angezogen! Beeil dich, sonst kommen wir zu
spät!" Mit diesen Worten riss die Mutter sie aus ihren
Träumereien.
"Ja, ich komm schon." Sofia schnappte sich die Mütze und zog
die
neuen schwarzen Halbschuhe an, die sie zu ihrem Geburtstag bekommen
hatte. Schließlich war heute Weihnachten, da wollte sie
besonders
schön aussehen.
"Sofia, hast du mein Halstuch gesehen? – Ich weiß
genau,
dass ich es hier auf den Stuhl gelegt hab. Immer lässt du
alles
rumliegen, räum das Küchenmesser fort und wisch den
Tisch
noch mal ab!"
Maria entdeckte das Halstuch im untersten Regalfach und zog es heraus.
Im gleichen Augenblick polterte die Schnapsflasche, die Sofia dort
versteckt hatte, auf den Fußboden. Sofia duckte sich
instinktiv.
Maria fluchte: "Das ist mal wieder typisch, du gönnst mir wohl
gar
nichts? Nicht mal zu Weihnachten! Was hab ich denn heut schon
getrunken?"
"Doch, ich gönn es dir, wirklich Mutti ... aber die Flasche
ist schon halb leer."
"Dein Glück, dass sie heil geblieben ist."
"Mutti, lass uns lieber zuhause bleiben. Wir könnten das Radio
anstellen und Weihnachtslieder hören und du kannst dich
ausruhen."
Maria band sich das Halstuch um. "Nun komm schon!"
Eisiger Wind, der die Schneeflocken vor sich hertrieb, erschwerte Sofia
das Atmen. Sie zog sich den Schal schützend vor das Gesicht,
so
dass ihre Augen gerade noch den Weg erkennen konnten. Die Beiden gingen
schweigend nebeneinander her und erreichten bald die Innenstadt. Die
Straßen waren nahezu menschenleer, behaglich stille. Das
Licht
der Kerzen an den Christbäumen hinter den Fenstern
strömte
Geborgenheit aus. Die Kirchenglocken der St. Nikolai-Kirche
läuteten. Sie gingen etwas schneller.
Sofia öffnete das Kirchenportal. Orgelmusik tönte ihr
entgegen. Weiter vorne direkt am Mittelgang, entdeckte sie leere
Sitzplätze. Leise ging sie dorthin. Maria folgte ihr. Erst
jetzt
bemerkte Sofia, dass ihre Schuhe vom Schnee durch und durch nass
geworden waren, ihre Füße froren.