... der Beweis, dass ich
eine denkende Blondine bin!
Meine Wohnung ist gut ausgestattet. Es gibt ein Bett, besser ein halbes
Bett. Denn nach meiner Scheidung habe ich das Ehebett zersägt.
Leider passte die Hälfte des Bettes nicht dorthin, wo ich sie
haben wollte. Nämlich in eine Nische, die mir dafür
geeignet schien. Das Bett war zu lang. Also raspelte ich vom Kopfende
einige Zentimeter ab. Jetzt passt es und es ist eine
gemütliche Schlaf- und Lese-Insel daraus geworden.
Kleiderschrank und Wohnzimmer-Regal fügten sich problemlos
ein. Es gibt einen Speisetisch, Stühle, ein halbes Sofa, einen
Schreibtisch mit Chef-Sessel. Zur Unterhaltung ist ein Fernseher und
eine kleine Hi-Fi-Anlage mit CD-Spieler da. - Doch es fehlt ein
Plattenspieler. Seit langer Zeit konnte ich meine Schallplatten daher
nicht hören.
An einem schönen Tag im Juni besuchte ich den Warentauschtag
der Brockensammlung in Göttingen. Eine tolle Idee! Man kann
das, was man nicht mehr benötigt - aber noch brauchbar ist -
dort hinbringen und an den Ständen nach Schätzen
stöbern und kostenlos mitnehmen.
Mein Ziel ist der Bücherstand. Ich lese gern und
stöbere nach interessanten Romanen und Krimis. Kishon 'Ein
Apfel ist an allem Schuld' und einige Graham-Greene-Bücher,
die ich noch nicht kenne. landen in meiner Tasche. Weiter geht es zu
den anderen Ständen. Am Stand für Haushaltswaren
stehen so viele Menschen, dass ich die Waren nicht sehen kann.
Ich schaue zum nächsten Stand. Auf dem Tresen steht eine
kleine schwarze Hi-Fi-Anlage mit Plattenspieler!!! Natürlich
will ich ausprobieren, ob alles funktioniert. Doch es gibt keinen
Stromanschluss. Der Helfer am Stand meint, dass das Gerät
bestimmt in Ordnung sei. Also klemme ich mir die Anlage unter den Arm
und gehe in Richtung Auto.
Zwischendurch ein liebevoller Blick auf das kostbare Stück.
Ich stutze ... der Plattenteller ist irgendwie klein, da passt doch
keine Langspielplatte drauf ... zurück zum Stand ...
Der Helfer meint, das sei schon in Ordnung ... Na, gut, wieder
zurück zum Auto.
Zuhause putze ich erstmal das Gerät, es ist arg verstaubt und
siehe da, die Anlage sieht jetzt richtig gut aus, keine Kratzer, die
Plattenspieler-Nadel ist ordnungsgemäß
geschützt. Zu meinem Schrecken stelle ich fest, dass ich keine
Lautsprecher habe. Ich sehe mir die Lautsprecher meiner kleinen
vorhandenen Hi-Fi-Anlage an (die mit dem CD-Spieler). Leider passen die
Anschlüsse nicht zu der neuen alten Anlage. Was nun.
Ab in den Keller, dort liegen irgendwo noch zwei Lautsprecher von
meinem alten PC. Nachdem ich einige Kartons aus dem Keller herausgeholt
habe, entdecke ich den Karton mit den Lautsprechern und bewege mich
damit in meine Wohnung.
Nur der eine der beiden Lautsprecher hat Anschlüsse, die
passen könnten. Jetzt noch den Stecker der Anlage in die
Steckdose. Aha, es leuchtet ein kleines grünes
Lämpchen. Vorsichtig bewege ich den Arm des Plattenspielers
nach rechts, es knackt etwas, doch der Plattenteller bewegt sich nicht
so, wie ich es will. Mhm???
Ich teste das Radio. - Toll, einfache Drehknöpfe für
Frequenzen und Lautstärke! Tatsächlich finde ich
einen Sender und Musik dröhnt aus meinem provisorischen
Lautsprecher. Nun das Doppel-Kassetten-Deck. Irgendwo habe ich noch
eine Kassette mit Marlene Dietrich und schon erklingt aus dem
Lautsprecher: "Das war mein Milljöh". Beide Kassettenspieler
funktionieren einwandfrei.
Nun teste ich den Plattenspieler, lege eine Schallplatte auf, nichts
rührt sich, der Plattenteller dreht sich nicht. Was ist nur
mit dem Plattenspieler los? Ich zünde mir eine
Filter-Zigarillo an und setze mich vor die Anlage, warte auf eine
Eingebung. Vielleicht sollte ich mal unter den Plattenteller schauen. -
Eine kleine Metallklammer stört, ich entferne sie. - Aha!!! Da
liegt etwas, was wohl mal ein kompletter Gummi-Riemen war. Ich sammle
die porösen Teilchen auf und lege sie in eine
Plastiktüte. Heute ist es schon zu spät. Doch morgen
fahre ich in die Stadt, vielleicht kann ich irgendwo so ein Riemchen
kaufen.
Nach mehreren erfolglosen Versuchen lande ich im Göttinger
Elektronik-Center. Ein netter älterer Herr hört sich
meine Probleme an, legt die Teilchen des Riemens zu einem Kreis, misst
den Durchmesser, fasst sich an die Stirn, grübelt kurz,
verschwindet, taucht wieder auf. In der Hand hält er eine
Tüte mit einem Riemchen (es nennt sich Antriebs-Riemen).
Er reicht ihn mir mit dem Hinweis "Der könnte passen ... 12,50
Euro!" Uff!
Schnell nach Hause, den Plattenteller abnehmen. In der einen Hand halte
ich den neuen Antriebs-Riemen; mit den Augen (womit sonst
kopfschüttel) suche ich nach Möglichkeiten, wie der
Riemen nun angelegt werden muss. Ich sehe zwar eine Art Antriebsrad,
das sich auch dreht, wenn ich den Plattenarm nach rechts bewege, doch
wohin mit dem Rest des Riemens - das ist mir ein Rätsel.
Wieder versuche ich - durch meditatives Verhalten - das Rätsel
zu lösen.
Moment noch, bin am Denken!
Endlich komme ich auf die Idee, mir den Plattenteller genauer
anzusehen. Ich drehe ihn um. Auf der Außenseite
einer kreisförmigen Erhebung entdecke ich Spuren des alten
Antrieb-Riemens. Aha! Da gehört der Riemen drauf. Er passt
auch wunderbar.
Ich lege den so präparierten Plattenteller auf den
Plattenspieler, ziehe den Platten-Arm nach rechts, es knackt, aber der
Teller dreht sich immer noch nicht. - Verdammt!
Jetzt hebe ich den Plattenteller ein ganz ganz kleines
bißchen hoch und schaue, was da vor sich geht. - Aha!!! Der
Antriebsriemen berührt das Antriebsrad überhaupt
nicht. - Der Riemen muss noch über das Antriebsrad!!! Das ist
schnell geschehen. Wieder den Plattenarm nach rechts bewegen, es
knackt ... der Plattenteller dreht sich!!!!!!!!
Schnell ziehe ich eine meiner alten Langspielplatten hervor. "Die
Rocky-Horror-Picture-Show" - das passt zu diesem heiligen Augenblick!
ENDE